»Herzlichen Glückwunsch.
Uns allen.«
Am 23. Mai 2021 feierte das Grundgesetz seinen 72. Geburtstag.
Dreieinhalb Jahre nach dem Ende der deutschen Schreckensherrschaft über Europa trat im September 1948 in Bonn der Parlamentarische Rat zusammen. Die 65 von westdeutschen Landtagen gewählten Abgeordneten hatten die schwierige Aufgabe, für den einen Teil Deutschlands eine Verfassung zu entwerfen, ohne damit eine Vereinigung mit dem anderen Teil Deutschlands auszuschließen. Die Fehler aus „Weimar“ sollten vermieden, Totalitarismus und Willkürherrschaft für immer ausgeschlossen werden.
Das Grundgesetz hat unsere Gesellschaft verändert
Herausgekommen ist ein Glück für unser Land. Das Grundgesetz ist für die Bundesrepublik Deutschland eine stabile Basis geworden für eine demokratische Gesellschaft unter der Herrschaft des Rechts. Die Unantastbarkeit der Menschenwürde in seinem ersten Artikel hat sich nicht als Floskel erwiesen. Sie ist unmittelbar geltendes Recht. Und sie wirkt. In einer ganzen Fülle von Gerichtsentscheidungen ist festgestellt worden, dass der Mensch niemals zum „bloßen Objekt des Staates“ gemacht werden darf. Der einzelne Mensch ist stets etwas Wertvolles, niemals ein Schaden. Prinzipiell sind wir gleich und gleich viel wert. Dass dies keine Selbstverständlichkeit ist, zeigen die vielen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die auch dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber oft Schranken setzen mussten. Oft widersprachen die Entscheidungen dem impulsiven Gerechtigkeitsempfinden der Mehrheit, besonders wenn es um den menschlichen Umgang mit Personen ging, die schwerster Verbrechen schuldig waren. Und wurden doch im Ergebnis breit akzeptiert.
Das Grundgesetz hat unsere Gesellschaft verändert. Gestützt auf die Grundrechte sind gesellschaftliche Fortschritte eingeklagt worden, für die der politische Diskurs und die parlamentarischen Mehrheiten längst nicht immer bereit waren: Gleichstellung von Frau und Mann, Kindschaftsrecht, Meinungs- und Pressefreiheit, Neutralität des Staates in religiösen Fragen, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Lebenspartnerschaftsgesetz, zum menschenwürdigen Existenzminimum und im Personenstandsrecht zu diverser Identität. Oft musste das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber auf die Finger klopfen. Besonders spektakulär ist die jüngst festgestellte Verpflichtung des Gesetzgebers zum Klimaschutz – abgeleitet aus dem Grundgesetz.
Die schwere Hypothek unserer Geschichte verwehrt uns ein unverkrampftes Verhältnis zu unserem Land. Das Grundgesetz mit seinem bedingungslosen Bekenntnis zu „unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt“ bietet eine gemeinsame Basis, auf die wir uns alle verständigen können. Das Grundgesetz hat uns eine Identität gegeben, die ohne Nationalismus, ohne Ausgrenzung und Abgrenzung funktioniert.
Am 23. Mai 2021 feiert das Grundgesetz seinen 72. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch. Uns allen.