»Zwischen dem hippen Kreuzberg aus den Toursimus-Führern und der sozialen Realität in den vergessenen Ecken dieses Bezirks liegen hier oft nur ein paar hundert Meter.«
Wahlkreis
Ich trete an in einem der diversesten Wahlkreise Berlins, dem Wahlkreis 1 in Kreuzberg. Er reicht vom Chamissoplatz und Bergmannkiez bis in die Südliche Friedrichstadt und vom Gleisdreieckpark bis zum Blücher- und Mehringplatz.
Quelle: © Amt für Statistik Berlin-Brandenburg 2020
Kreuzbergs Westen
Jeder Ort hat seine eigenen Herausforderungen und Problemlagen zu bewältigen und seine eigenen Vorzüge und schönen Flecken. Während im südlichen Teil rasant steigende Mieten die Gentrifizierung vorantreiben und alteingesessene Läden und Gewerbe von Flagship-Stores und Ketten verdrängt werden, stehen nur ein Stück weiter nördlich Gewerberäume leer, Plätze verwaisen und verwahrlosen und Menschen fühlen sich inmitten Kreuzbergs wie an einem vergessenen Ort. Für junge Menschen macht es einen großen Unterschied, ob sie im sanierten Altbau in der Bergmannstraße oder im Hochhaus am Mehringplatz aufwachsen. Für Familien im Wahlkreis sind in der einen Straße die Geschäfte zu teuer, nur wenige Meter weiter stellt sich die Frage, ob in Zukunft überhaupt noch ein Supermarkt fußläufig erreichbar sein wird.
Zugleich ist diese vielfältige Ecke Kreuzbergs eines der charmantesten Gebiete der Stadt. An nur wenigen Orten treffen so unterschiedliche Lebensstile und Kulturen, so diverses kleines Gewerbe, eine so vielfältige Kunst- und Kulturszene, trendige Cocktailbars und verrauchte Kiezkneipen aufeinander. Einige der schönsten Grünflächen Berlins wie der Viktoriapark und das Tempelhofer Feld sind dort zu finden, renommierte Museen wie das Jüdische Museum, das Technikmuseum und die Berlinische Galerie, Gründerzeitarchitektur und Glasfassaden.
Berlins wechselvolle Geschichte hat sich hier tief eingegraben: Das Völkerschlachtendenkmal auf dem Kreuzberg und die ehemalige Garde-Dragoner-Kaserne erzählen von den antinapoleonischen Kriegen, Ende des 19. Jahrhunderts entstand in der Südlichen Friedrichstadt das Zeitungsviertel, in dem Mitte der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts mit dem Vorwärts-Haus einer der bedeutendsten Treffpunkte der Internationalen Arbeiterbewegung entstand. Die Schrecken der nationalsozialistischen Machtergreifung hinterließen dort besonders früh brutale Spuren, ebenso wie am Standort des ehemaligen KZ Columbia. Während der Teilung Berlins entwickelte sich Kreuzberg zu einer Westberliner Enklave. Junge Menschen zogen in diesen Kiez, um der Wehrpflicht zu entgehen, oder um sich mit Hilfe der Berlinzulage ein eigenes Leben aufzubauen. Gastarbeiter:innen prägten Kreuzberg, wie keine zweite Gruppe. Vor allem in SO 36, aber auch den westlichsten Teil Kreuzbergs. Heute liegt das westliche Kreuzberg im Zentrum Berlins und ist ein Anziehungspunkt für Berliner:innen und Besucher:innen.